Ungewohnte Klänge hallten am Weißensonntag durch das heimische Sieglar. Nach langer Zeit wurde erstmalig wieder im Glockenturm der Kirche St. Johannes Sieglar gebeiert, dafür hat der Sieglarer Kirchenvorstand nun gesorgt. Doch worum handelt es sich eigentlich bei diesem alten rheinischen Brauch?

Beiern bezeichnet das manuelle Anschlagen von Kirchenglocken in örtlich überlieferten, festgelegten Rhythmen. Dies steht im Gegensatz zum herkömmlichen Läuten der Glocke durch Schwingen. Die Melodien, die mit der Anzahl der vorhanden Glocken variieren, werden mit Hilfe der Klöppel erzeugt. Dabei werden die Klöppel über Seilzüge per Hand oder Fuß gegen den Schlagring, der dicksten Stelle der Glocke, geschlagen. Auch andere Schlaghilfen wie Holzhämmer können dabei zum Einsatz kommen„, so steht es auf Wikipedia.

Das Wort „Beiern“ kommt dabei vom französischen ‚baier‘ für ‚anschlagen‘, denn die Glocken werden wie oben beschrieben nicht geläutet, sondern händisch angeschlagen. Dazu müssen sie zuvor mit einer speziellen Halteeinrichtung festgesetzt werden. Nachdem die Halteeinrichtung für die Sieglarer Glocken abhanden gekommen war, erklärte sich die Firma Stahlbau Vomfell bereit, eine neue Halteeinrichtung zu bauen und zu spenden, sodass diese alte Tradition künftig wieder hochgehalten werden kann. Im Fall der vier Sieglarer Glocken werden die Klöppel über Seilzüge betätigt (wie im Bild zu sehen), denn das Anschlagen der Glocke mit einem Hammer birgt Gefahren. Zwar kann der Klang der Glocke durch Anschlagen an unterschiedlichen Stellen beeinflusst werden, jedoch kann es im schlimmsten Fall auch zur Zerstörung der Glocke durch Risse führen. Daher stellt die Methode der Seilzüge eine sinnvollere Alternative dar, sodass uns das Beiern nachhaltig noch lange in Sieglar erhalten bleibt.

„Unterricht“ im Glockenturm

Doch alleine die „Hardware“ reicht noch nicht aus, um diese Tradition zu erhalten. Das nötige „Know-How“ dieses alten Brauches hat die Familie Bornheim, die schon früher im Kirchtum gebeiert hat, mitgebracht. „Nun ist es an der Zeit, sich um Nachwuchs-Beiermänner zu kümmern“, so Rolf Stahlschmidt, der Initiator des Brauchtums-Projektes. Binnen kurzer Zeit haben sich dazu einige junge Männer zusammengefunden, die das Beiern für die zukünftige Fortführung des Brauches erlernen möchten. Peu à peu sollen sie nun ran geführt werden und das Beiern von den Beiermännern der Familie Bornheim erlernen. Und eines ist dabei unerlässlich: Gehörschutz! Auch können sich nicht zu viele Personen im Glockenturm aufhalten, denn wenn die Glocken geläutet werden, brauchen sie Platz – und im Weg stehen wäre fatal, denn die größte der vier Glocken wiegt weit über eine Tonne. Drei der vier Glocken stammen aus den 1950er Jahren und kommen aus Bremen. Die ursprünglichen Glocken wurden im zweiten Weltkrieg, wie vielerorts, zu Rüstungszwecken eingeschmolzen. Erfreulicherweise blieb wenigstens eine originale Glocke der alten Sieglarer Glockengießerei Claren erhalten. (Die Glockengießerei stand dort, wo heute das Seniorenzentrum Curanum steht)

Die zweitgrößte Sieglarer Glocke wird geläutet und schwingt hin und her.

Werden alle Glocken gleichzeitig geläutet, ist ordentlich Radau im Turm. Die massiven Holzbalken ächzen und knarren, wenn die tonnenschweren Glocken in Bewegung sind. Der Anblick ist faszinierend, der Klang überwältigend. Schön, dass wir Sieglarer uns nun wieder häufiger zu kirchlichen Feiertagen am Klang des traditionellen Glockenspiels erfreuen dürfen, denn:

Tradition pflegen heißt nicht, Asche aufbewahren, sondern Glut am glühen halten„.